Midad – Das deutsch-arabische Stadtschreiber-Projekt

Mit dem literarischen Internet-Projekt »Stadtschreiber« griffen die Goethe-Institute in der Region Nahost/Nordafrika in Zusammenarbeit mit den Literaturhäusern in Deutschland 2004 die erfolgreiche Idee der Städteschreiber auf und übertrugen sie auf den Kulturaustausch zwischen Deutschland und der arabischen Welt. Die Stadtporträts sollten deutschen und arabischen Lesern einen literarischen Zugang in eine auf beiden Seiten von Vorurteilen belastete fremde Welt öffnen und die Wahrnehmung vom jeweiligen Gegenüber schärfen.

Seit Gründung des Projekts haben insgesamt acht deutsche und sechs arabische Schriftsteller verschiedene deutsche und arabische Großstädte besucht. Ihre Aufgabe: Eindrücke, Erfahrungen und Erlebnisse in der Begegnung mit diesen Metropolen in einem Internet-Tagebuch zu schildern.

Von deutscher Seite berichteten Tobias Hülswitt, José Oliver und Thomas Brussig aus Kairo, Hans Pleschinski aus Amman, Ulla Lenze aus Damaskus, Norman Ohler aus Ramallah (Palästina), Steffen Kopetzky aus Rabat und Silke Scheuermann aus Beirut. Von arabischer Seite schrieben Akram Musallam aus Hamburg, Muhammad al-Amiri aus München, Latifa Baqa aus Berlin, Najwa Barakat aus Frankfurt, Osama Esber aus Köln und Ibrahim al-Farghali aus Stuttgart.

Die in diesem Buch versammelten Texte sind literarisch sehr vielfältig. Sie reichen von journalistisch geprägten Schilderungen und Interviews im Sinne literarischer Reisereportagen bis hin zu poetischen Verdichtungen subjektiver Eindrücke und Anekdoten aus dem täglichen Leben in der Fremde.


Die Tagebücher erheben nicht den Anspruch, objektive Bestandsaufnahmen fremder Welten zu sein; sie zeigen vielmehr die subjektive Reaktion der Stadtschreiber auf eine ihnen fremde Kultur. Insofern sind sie literarisch individuell und doch beispielhaft für die persönliche Auseinandersetzung mit einer anderen Lebenswelt, mit äußeren Eindrücken sowie inneren Bildern und Vorurteilen, die jeder in sich trägt. Die Texte leisten somit einen wichtigen Beitrag zum Dialog der Kulturen zwischen dem Westen und der arabisch-islamischen Welt.

Das Stadtschreiber-Projekt ist Bestandteil des deutsch-arabischen Internet-Literaturforums MIDAD (»Tinte«), das von der Kulturstiftung des Bundes gefördert und von arte als Medienpartner unterstützt wird.

Johannes Ebert, geboren 1963, war von 2002 bis 2007 Direktor des Goethe-Instituts in Kairo und Leiter der Region Nordafrika/Nahost des Goethe-Instituts. Anschließend leitete er von 2007 bis 2012 das Goethe-Institut in Moskau und die Region Osteuropa/Zentralasien. Seit März 2012 ist er Generalsekräter des Goethe-Instituts.



Pressespiegel

Nach dem 11. September 2001 wurde es zur Herausforderung, sich über die zwischen dem Westen und der islamischen Welt aufgerissene Kluft hinwegzusetzen. Im Vorfeld des Auftritts der Arabischen Liga als Ehrengast der Frankfurter Buchmesse 2004 lancierte dann das Goethe-Institut in Zusammenarbeit mit deutschen Literaturhäusern das Projekt »Midad«: Hier hielten sich acht deutsche und sechs arabische Literaturschaffende in der jeweiligen Partnerstadt auf und berichteten in Online-Tagebüchern über ihre Erfahrungen. Textauswahlen dieser Initiative liegen nun auch in Buchform vor. Bekanntermaßen ist die durch den fremden Blick gebrochene Sicht aufs Eigene nicht minder interessant als die literarisch vermittelte Erkundung der Ferne. In dieser Hinsicht bietet der Midad-Band dank den unterschiedlichen Aufenthaltsorten der nach Deutschland geladenen Autorinnen und Autoren eine große Vielfalt: Neben Berlin kommen auch Köln und Stuttgart, Frankfurt, München und Hamburg zur Sprache. Da kann einen schon einmal das Staunen ankommen, wenn der Syrer Osama Esber im modisch entblößten Nabel junger Kölnerinnen gleich das »Zentrum von Ritualen, die tief dem Heidentum der germanischen Erde entspringen« zu sehen meint; und nein, die Formulierung ist nicht ironisch gemeint. Bei einzelnen der arabischen Autoren – die wohl erstmals einen solchen Gastaufenthalt absolvierten – schlägt sich eine gewisse Befangenheit im Stil nieder, indes ihre deutschen Kollegen sich in der Regel wesentlich selbstbewusster zeigen. Tobias Hülswitt zieht gleich noch ein skurriles Kunstprojekt durch, indem er einen deutschen Taxifahrer im Kairoer Verkehrschaos aussetzt und die Verwirrung von Lenker und Fahrgästen von im Auto installierten Videokameras einfangen lässt. José F.A. Oliver, ebenfalls in Kairo zu Gast, kapriziert sich auf eine poetische Prosa, während Ulla Lenzes vergleichsweise kurzer Text über Damaskus zu einer klugen und behutsamen Reflexion über Wahrnehmung und Selbstwahrnehmung gerät. Thomas Brussig verwahrt sich dagegen, dass es ausgerechnet Sache der Schriftsteller sein sollte, »die Universalformel im Kampf der Kulturen [zu] finden«; er legt dafür aber zumindest eine scharfsichtige Feststellung vor: »Der viel beschworene ›Dialog der Kulturen‹ ist ein geduldiges, behutsames, zähes Auf-den-Islam-Einreden.«/Neue Zürcher Zeitung